Letzte Chance: 970. Sitzung des Bundesrates entscheidet über Zukunft der Schweinehalter in MV

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S. Selig

Heute ist die letzte Chance für eine Fristverlängerung zur betäubungslosen Ferkelkastration. Unsere Forderung: Den 4. Weg einschlagen, also Landwirten die Möglichkeit geben, ihre Ferkel mit örtlicher Betäubung selbst zu kastrieren. Das ist bisher aber u.a. deshalb nicht möglich, weil die hundertprozentige Schmerzausschaltung noch nicht zertifiziert ist und sich die Arzneien zum Teil noch im Zulassungsverfahren befinden. Deshalb brauchen wir mehr Zeit!

 

In der heutigen Sitzung des Bundesrates wird unter Punkt 5 der Tagesordnung über eine mögliche Verschiebung der Frist zum Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration entschieden. Dafür liegt ein Antrag der Bundesländer Niedersachen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern vor. Im Antrag heißt es: „Eine Verschiebung der Frist ist zwingend erforderlich, da die derzeit verfügbaren Alternativen zur betäubungslosen Kastration Anforderungen der Praxis und des Markes nicht gerecht werden“.

 

Das bedeutet im Klartext, dass ab dem 01.01.2019 drei Verfahren zur Verfügung stehen, die aufgrund fehlender Nachfrage auf dem Markt, fehlender Akzeptanz bei Handel und Verbraucher, beschränkter Verarbeitungs- und Exportmöglichkeiten sowie fehlender Wettbewerbsfähigkeit gegenüber im Ausland aufgezogener Ferkel nicht für die Mehrheit der Betriebe umsetzbar sind.

 

 (1) die Jungebermast: Der Handel nimmt nur eine geringe Menge Eber an, damit ist dieser Absatzweg nicht flächendeckend für Landwirte möglich. Es ist nur eine Nische.

 

(2) die Jungebermast mit Impfung gegen Ebergeruch ist eine reversible Funktionshemmung des Hodens. Auch das ist derzeit nicht flächendeckend möglich, denn der Handel befürchtet mangelnde Verbraucherakzeptanz und es gibt Einschränkungen bei den Exportmöglichkeiten. Auch hier ist in den kommenden Monaten keine Planungssicherheit zu erwarten.

 

(3) die Kastration unter Injektionsanästhesie durch den Tierarzt mittels Ketamin/Azaperon: Das ist ein bereits angewandtes Verfahren der Veterinärmedizin. Durch die Tierarzt-Pflicht steigen die Kosten. Die Aufwachphase nach der Vollnarkose beträgt bis zu 5 Stunden. Neugeborene müssen aber oft und regelmäßig Muttermilch aufnehmen, außerdem können Vollnarkosen für so junges Leben kritisch werden. Die Sterberate steigt im Vergleich zur jetzigen Praxis um 3 Prozent.

Deshalb fordern wir die Lokalanästhesie durch den Landwirt. Sie schaltet den Schmerz aus und sorgt in Deutschland für die gleichen Wettbewerbsbedingungen, wie im Ausland. Unsere Landwirte sind bereit, sich in Schulungen die Sachkunde anzueignen, die es für neue Wege benötigt.

Hintergrund:

In Mecklenburg-Vorpommern sind rund 170 schweinehaltende Betriebe mit rund 800.600 Schweinen, davon 85.700 Zuchtschweine, von der Entscheidung des Bundesrates betroffen. Schon 2017 wurden 11,5 Millionen Ferkel importiert. Damit hat schon heute fast jedes vierte Schwein, das hierzulande gemästet wird, einen anderen Ursprung als Deutschland. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Selbstversorgungsgrad von Ferkeln in Deutschland weiter sinken wird, wenn die Politik nicht reagiert.

„Ohne Fristverlängerung und der Umsetzung einer wirklich praxisgerechten Lösung werden die Betriebe mit Sauenhaltung und Ferkelproduktion in MV und ganz Deutschland zerstört. Der Strukturwandel der tierhaltenden Betriebe wäre unaufhaltsam. Die Politik muss heute endlich für unsere Landwirtschaftsbetriebe eintreten!“, erklärt Bauernpräsident Kurreck.

Aus Sicht des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern ist eine Fristverlängerung zwingend notwendig. Unter Berücksichtigung der im Tierschutzgesetz geforderten Schmerzausschaltung müssen im Zeitraum der gewährten Fristverlängerung dringend weitere wissenschaftliche Untersuchungen zu Kastrations- und Betäubungsmöglichkeiten durchgeführt beziehungsweise beendet werden.

 

Angesicht der prekären Situation betont der Bauernpräsident:

„Bei der Ferkelkastration brauchen wir endlich einen Weg, der nicht nur Akzeptanz beim Verbraucher findet, sondern auch betriebswirtschaftlich vertretbar ist. Kurzum: wir brauchen die lokale Betäubung durch den Landwirt.“  

Gemeint ist der sogenannte „vierte Weg“, bei dem eine Lokalanästhesie vom Landwirt selbst durchgeführt wird. Insbesondere in Betracht der in Mecklenburg-Vorpommern zunehmend fehlenden Tierärzte für Nutztiere und eines unüberschaubaren zeitlichen sowie ökonomischen Aufwandes bei der Betäubung durch einen Tierarzt ist dies die entscheidende Lösung.

 

Mit Blick auf die nördlichen EU-Länder und Ferkelproduzenten drängt Kurreck auf eine schnelle Lösung:

„Wenn wir unseren Schweinehaltern eine Fristverlängerung und letztlich die Lokalanästhesie nicht gewähren, werden weitere Ferkel aus dem Ausland importiert, die ohne unseren Einfluss auf Tierwohl und Tiergesundheit gehalten werden. In Skandinavien ist der vierte Weg bereits seit Langem gängige Praxis. Das muss auch in Deutschland möglich sein.“  

Für die Gewährleistung der fachlich korrekten Durchführung der Lokalanästhesie wäre ein Sachkundenachweis ähnlich dem des Pflanzenschutzes denkbar. Hierbei müssen die Praktiker zunächst einen Fachkurs belegen, eine Prüfung bestehen sowie anschließend das Gelernte alle zwei Jahre in offiziell anerkannten Weiterbildungsveranstaltungen auffrischen.