200 Traktoren auf Stralsunds Straßen

Demo1
Stefanie Lanin

Die Hansestadt Stralsund war heute das Ziel von hunderten Landwirten aus Mecklenburg-Vorpommern. Mit rund 200 Traktoren steuerten sie die Hansestadt an, um hier, im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel, für einen Ausbau von Kooperation und Freiwilligkeit beim Insektenschutz und gegen das geplante Aktionsprogramm Insektenschutz sowie die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zu demonstrieren. Beides soll am morgigen Mittwoch im Bundeskabinett zur Abstimmung kommen. Die Landwirte befürchten, dass das vorliegende Gesetz viele neue Regeln, mehr Bürokratie, nicht entschädigte Einkommenseinbußen auf den Höfen, aber keinen zusätzlichen Insektenschutz bringen wird.  Zu der Demonstration haben der Bauernverband Mecklenburg-Vorpommern und die Initiative „Land schafft Verbindung MV“ (LsV MV) aufgerufen.

Vor dem Landratsamt in Stralsund suchten Vertreter des Bauernverbandes und von LsV MV das Gespräch mit Landrat Dr. Stefan Kerth und Stralsunds Oberbürgermeister Alexander Badrow. Zugleich wurde ein Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel an eine Mitarbeiterin Ihres Büro in Stralsund übergeben. Darin äußern die Landwirte die dringende Bitte an die Kanzlerin, die Anliegen der Landwirtschaft stärker zu berücksichtigen. Die Landwirte seien sich ihrer Verantwortung beim Schutz und der Förderung der Insektenvielfalt bewusst. Das geplante Insektenschutzgesetz zerstöre jedoch den Ansatz eines kooperativen Naturschutzes. Das Gesetzespaket konzentriere sich einseitig auf Auflagen und lässt die Möglichkeit für einen Ausbau einer Kooperation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz außen vor. Die geplanten Bewirtschaftungsauflagen schränkten die Landwirtschaft  nachhaltig ein, ohne neue Chancen für den Insektenschutz zu generieren.

„Insektenschutz, Naturschutz und Biodiversität sind für uns Landwirte eine Herzensangelegenheit“, so Detlef Kurreck, Präsident des Bauernverbandes MV. „Unser Arbeitsumfeld ist gleichzeitig auch unser Lebensumfeld, das wir erhalten und pflegen wollen.“

Mit Hecken, Söllen, Honigbrachen, Ackerrandstreifen und vielen anderen Maßnahmen engagierten sich die Landwirte in MV bereits heute im Rahmen geförderter Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen für die Artenvielfalt.

Fast jeder zweite Hektar im Land wird nach den Vorgaben des Greenings oder eines Agrarumweltprogramms bewirtschaftet, mehr als 7200 Hektar Blühflächen haben die Landwirte allein im vergangenen Jahr angelegt.

„Solche freiwilligen Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Konsens entstanden sind und zielgerecht sowie standortangepasst sind. Ihre Erfolgschancen sind viel größer. Sie zeigen deutlich schneller und deutlich sichtbarer Erfolge als starre Verbote wie im geplanten Insektenschutzgesetz“, erläuterte der Präsident des Bauernverbandes MV.

Ein Beispiel wie Insektenschutz auf freiwilliger Basis funktionieren kann, ist Ties Möckelmann von der Agrarservice Wismar Land OHG. Schon lange vor dem gesetzlichen verpflichtenden Greening gibt es hier im Betrieb Schonstreifen um alle Gewässer. Auf den Ackerflächen wurden mehrere Sölle renaturiert. Blühflächen und Lerchenfenster gehören für Ties Möckelmann schon lange zur landwirtschaftlichen Praxis. Das neue Insektenschutzgesetz sei für ihn kein kleiner Eingriff, sondern habe massive Auswirkungen auf die Bewirtschaftung der Flächen. Möckelmann rechnet mit enormen Einkommensverlusten. Genauso schmerzhaft sei der Vertrauensverlust in seine bisherige Arbeit.

In der Agp Lübesse zählen Insekten zu den fleißigsten Mitarbeitern des Unternehmens, wie Geschäftsführer Rainer Mönch schmunzelnd verkündet. 70 Bienenvölker sorgen hier für Honig aus eigener Produktion. „Die Zusammenarbeit zwischen Imkerei und unserer Feldwirtschaft  hat sich seit 2015 hervorragend entwickelt“, zieht Rainer Mönch Bilanz. „Durch das Anlegen von Blühsatreifen und Bienenweiden auf unseren Feldern können wir ein kontinuierliches und reichhaltiges Pollenangebot für unsere Bienen und andere Insekten sicherstellen.“ Für Insektenschutz braucht es Überzeugung, kein Ordnungsrecht, so Mönch.

„Das Aktionsprogramm sorgt dafür, dass bestes Ackerland nicht mehr bewirtschaftet werden kann: Hier wachsen kein Getreide, kein Hafer, keine Kartoffeln und keine Zuckerrüben mehr – das sind Lebensmittel, die wir nicht mehr herstellen können“, erklärt Toni Reincke von Land schafft Verbindung MV. Insektenschutzgesetz und Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung gefährden sowohl die regionale Lebensmittelproduktion als auch die Existenz der Landwirte.

350 000 Hektar wären in Mecklenburg-Vorpommern von den verschärften Regelungen betroffen. Aufgrund der zahlreichen, nach 1990 ausgewiesenen Naturschutz-, Vogelschutz- und FFH-Gebiete ist diese Fläche im bundesweiten Vergleich sehr hoch und sorge für eine zusätzliche Benachteiligung strukturschwacher Regionen. Ohne dass es den Insekten nachweislich nütze, würden so per Gesetz Acker- und Grünlandflächen der Produktion entzogen. „Denn um hochwertige Lebensmittel herzustellen, ist moderner und cleverer Pflanzenschutz notwendig. Das gilt sowohl für den konventionellen als auch für den biologischen Anbau“, sagte Detlef Kurreck.